Der Reichstagsbrandprozeß
18.Veranstaltung der HUMBOLDT-GESELLSCHAFT am 31.01.96 von Gero Bergmann
INHALT:
A. Einleitung
B. Geschichtlicher Hintergrund
C. Die Tat
I. Der Tathergang nach Aussage von van der Lubbe
II. Der Tathergang nach der Ansicht des Reichsgerichts
D. Der Täter
E. Der Prozeß vor dem Prozeß
F. Der Prozeßverlauf
I. Das Duell Göring / Dimitroff
II. Das Urteil
G. Die Wiederaufnahme des Prozesses
H. Der Gelehrtenstreit um die Täterfrage
J. Die aktuelle Beweislage der Nazi-Täterschaft
I. Die Aktivitäten im Februar 1933
II. Das Ermittlungsverbot nach "rechts"
III. Die Aussage Freybergs
IV. Der unterirdische Gang
K. Stellungnahme
A. Einleitung
Als am 27. Februar 1933 der Reichstag in Flammen aufging, war wohl jeder, der das Schaubild mit eigenen Augen sah, sich der großen Symbolkraft dieses Ereignisses bewußt.
Die noch am gleichen Abend scheinbar stattgefundene Aufklärung durch die Verhaftung des Holländers Marinus van der Lubbe täuschte über die Bedeutung des Brandanschlages hinweg. Vielmehr war diese Nacht der Ausgangspunkt des Aufeinanderprallens zweier völlig konträrer Regime. Sowohl die Nationalsozialisten als auch die Kommunisten versuchten den Brand des Reichstages für ihre Ideologie auszuschlachten und somit der Gegenseite die Schuld und Urheberschaft der Tat vorzuwerfen.
Die Konflikte einer Zeit spiegeln sich häufig in großen politischen Prozessen wider. Der Reichstagsbrandprozeß war wohl ein Ereignis, das die Macht der Nationalsozialisten festigte und durch die folgenden Gesetzesverabschiedungen fast uneingeschränkt gestaltete.
Noch heute, mehr als sechs Jahrzehnte später, ist die einfache Frage, wer für den Brand des Reichstages denn nun verantwortlich gewesen sei, immer noch heftig umstritten. Waren es die Kommunisten, die nach der Machtübernahme Hitlers symbolhaft das Parlament zerstören wollten ? Waren es die Nationalsozialisten, die den Brand geschickt in die Schuhe der Kommunisten geschoben haben, um diese endgültig von der politischen Bildfläche verschwinden zu lassen ? War es eine "wilde Aktion" einer der beiden Gruppierungen, von denen die jeweilige Führung gar nichts wußte ? Oder begang Marinus van der Lubbe die Tat doch als Einzeltäter, um die mangelnde Kampfeslust der Arbeiterschaft gegen die Nationalsozialisten aufzubauen ?
Die vorliegende Arbeit vermag in dieser Frage auch keine Lösung zu finden. Ziel ist es, die Geschehnisse im und um den Reichstagsbrandprozeß aufzuzeigen, die Wiederaufnahme des Prozesses in den 60er und 70 er Jahren zu beschreiben und schließlich auf den noch heute ausgetragenen Gelehrtenstreit in dieser Frage kurz einzugehen. Nicht zuletzt soll auch auf die veränderte und neu hinzugekommene Beweislage durch die Recherchen im Wiederaufnahmeverfahren eingegangen werden.
Selten ist ein Prozeß so stark mit dem Problem von Recht und Unrecht verknüpft wie der des Reichstagsbrandes.
B. Geschichtlicher Hintergrund
Adolf Hitler wurde am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt. Dieses Ereignis bedeutete jedoch noch nicht die uneingeschränkte Macht der NSDAP. Wie auch die bisherigen Regierungen war das Kabinett von dem Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten abhängig. Hitler hatte für den 5. März 1933 Neuwahlen erzwungen in der Hoffnung hierbei eine absolute Mehrheit zu erzielen. Die dann geplante Verabschiedung eines Ermächtigungsgesetzes würde den Reichstag ausschalten und das Gegenzeichnungsrecht des Reichspräsidenten beenden.
Nicht nur die Mitglieder und Anhänger der NSDAP, sondern auch weite Teile der übrigen Bevölkerung sahen in der bevorstehenden Machtergreifung der Nationalsozialisten ein Ende der sozialen Misere durch die Weltwirtschaftskrise in der Weimarer Republik. Die Versprechungen Hitlers von einer "nationalen Wiedergeburt" fanden in der Not der Bevölkerung fruchtbaren Boden, was Goebbels in den Wahlkampfkampagnen stets auszunutzen vermochte.
Parallel hierzu sollte die Ausrottung des "Marxismus" mit "Stumpf und Stiel" vorangetrieben werden.
Vor allem von der Landbevölkerung wurde die These, daß die marxistischen Parteien für die Niederlage des ersten Weltkrieges und für den Friedensvertrag von Versailles verantwortlich seien, dankbar aufgenommen und als Begründung für die Unterstützung der NSDAP benutzt. Somit war Mittelpunkt des Wahlkampfes der Kampf gegen die Kommunisten und der KPD, aber auch der SPD. Hitler überschätzte die Gefahr, die von den Kommunisten ausgehen könne völlig, die sich lediglich mit vereinzelten Streikaufrufen und Boykotten zur Wehr gegen die Nazis setzen wollten. Die Kommunisten rechneten mit einem schnellen wirtschaftlichen Untergang Hitlers, der sich nur wenige Monate nach Meinung der Kommunisten halten sollte.
Am 22. Februar wurde eine SA-Hilfspolizei unter der Leitung von Göring gegründet; die Kommunisten wurde gejagt und in Prügelstätten der SA "konzentriert". Für jede Gewaltaktion und für jeden Anschlag wurde die Urheberschaft in den Reihen der Kommunisten gesucht; es setzte eine Anti-Kommunistenpsychose ein.
Am 4. Februar verabschiedete Hitler eine "Notverordnung zum Schutze des deutschen Volkes", die bei einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Ordnung die Regierung ermächtigte, Streiks in lebenswichtigen Betrieben sowie Versammlungen und Umzüge zu unterbinden und die Linksopposition der Presse zu verbieten.
Je näher der Wahltermin zur Reichstagswahl kam, desto größer wurde die Angst in Kreisen der NSDAP vor einem Kommunistischen Anschlag. Bei den Polizeiorganen kursierten schon Wochen vor dem Reichstagsbrand Gerüchte um Aufstandsvorbereitungen des kommunistischen Regimes.
Hitler und seine Gefolgsleute nahmen die Gefahr, die nach ihrer Meinung von den Kommunisten ausging, für durchaus ernst, da die kommunistische Anwesenheit im Parlament die Machteroberungsstrategie der Nationalsozialisten hätte stören können.
In diese durch Wahlkampf und Verfolgung geprägte Zeit fiel am 27. Februar 1933 der Reichstagsbrand.
C. Die Tat
Die Brandstiftung am Reichstag erfolgte am 27. Februar zwischen 21:03 Uhr und 21:27 Uhr. Um 21:27 Uhr wird der junge Holländer Marinus van der Lubbe in einem dunklen Raum im Südumgang festgenommen.. Er ist völlig erschöpft und lediglich mit einer Hose, Hosenträgern und Schuhen bekleidet.
I. Der Tathergang nach Aussage von van der Lubbe
Nach Aussage von van der Lubbe ist er - mit Mantel und Jackett bekleidet - rechts neben dem Haupteingang des Reichstagsgebäudes über eine Mauer auf einen Balkon geklettert und hat die Fensterscheibe durch mehrere Fußtritte eingetreten. Mit Kohleanzündern ausgerüstet, hat er zunächst verschiedene Vorhänge an den Fenstern in Brand gesetzt. Er zog seinen Mantel, sein Jackett und sein Hemd aus, um diese mit den Kohleanzündern zum Brennen zu bringen. Die brennende Kleidung hinter sich herziehend, läuft van der Lubbe durch mehrere Räume des Reichstages auf der Suche nach brennbaren Gegenständen, die er dann auch entzündet. Schließlich betritt er den Plenarsaal, entzündet die Wandvorhänge und läuft mit seiner brennenden Kleidung zum Rednerpult und durch die einzelnen Stuhlreihen. Nachdem van der Lubbe im Südumgang noch unter einem Ledersessel "irgend etwas Brennbares" angesteckt hatte, begibt er sich in den Bismarcksaal und wartet dort auf seine Verhaftung.
II. Der Tathergang nach der Ansicht des Reichsgerichts
Da sich van der Lubbe während seiner zahlreichen Vernehmungen in einigen Punkten widersprach und unsicher wurde, gelangte das Reichsgericht aufgrund anderer Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten zu einer eigenen Aussage über den möglichen Tathergang. Den Weg, den van der Lubbe angab, im Reichstagsgebäude zurückgelegt zu haben, kann er in der vorgegebenen Zeit von 24 Minuten unmöglich zurückgelegt haben. Auch erinnert sich der Festgenommene nicht genau daran, ob er bestimmte brennende Objekte auch tatsächlich in Brand gesteckt hatte.
Aus den gefundenen Kleidungsstücken ergibt sich, daß van der Lubbe Brandflüssigkeit mit sich geführt haben muß und sich diese in seiner Kleidung entzündete. Aufgrund dieser Tatsache entkleidete sich der Festgenommene und warf die Gegenstände zu Boden. Die von van der Lubbe getragenen Kleidungsstücke waren größtenteils aus Wolle und wären deshalb mit dem Kohlenanzünder unmöglich zum Brennen gebracht worden.
Mindestens in diesen Punkten mußte der Tathergang also revidiert werden. Aus der Problematik des Falles ergibt sich, daß der genaue Tathergang, wie er denn wirklich stattgefunden haben mußte, nicht aufgeklärt werden kann.
D. Der Täter
Marinus van der Lubbe wurde am 13. Januar 1909 in Leiden geboren und wuchs nach dem frühen Tod seiner Mutter ab dem 12. Lebensjahr als Vollwaise auf. Während seiner absolvierten Maurerlehre kam er in Verbindung mit der Arbeiterbewegung. Durch einen Berufsunfall erlitt er eine schwere Schädigung seiner Sehfähigkeit, was van der Lubbe zum Frühinvaliden werden ließ.
Als Mitglied in der Arbeiterbewegung wollte er sich für die Arbeiterschaft einsetzen, mußte jedoch die kommunistische Partei Hollands wegen seines ausgeprägten Individualismus verlassen. Politisch weiterhin aktiv, wandte er sich einer rätekommunistischen Splittergruppe zu und unternahm zahlreiche Fußreisen. Im Februar 1931 besuchte er die von ihm bewunderte Sowjetunion.
Um die nach seinem Eindruck mangelnde Kampfeslust der Arbeiterschaft zu verändern, reiste er im Februar 1933 von Leiden nach Berlin. Um Zeichen zu setzen, unternahm er am Neuköllner Wohlfahrtsamt, am Roten Rathaus und am Schloß drei fehlgeschlagene Versuche der Brandstiftung, ehe er am 27. Februar mit Kohleanzündern den Reichstag in Brand steckte.
Der Holländer mußte nach der Festnahme sieben Monate gefesselt in Einzelhaft verbringen. Mit zunehmender Prozeßdauer nahm der apathische Eindruck, den man von van der Lubbe gewinnen mußte, zu. Dem Holländer lief ständig die Nase und er ließ, je länger der Prozeß dauerte, den Kopf hängen. Nicht zuletzt der Hungerstreik, in den van der Lubbe zur Beschleunigung des Verfahrens im März trat, verursachte den zunehmenden seelischen Verfall und die Verschlechterung seines physischen Zustandes. Das zeitweise Auflachen des Holländers vor Gericht führte bei vielen Beobachtern zu der Annahme der Idiotie und Schwachsinnigkeit des Angeklagten.
Van der Lubbe, der im Gegensatz zu den anderen Angeklagten immer gefesselt in Sträflingskleidung erscheinen mußte, war mit wenigen Ausnahmen während des Prozesses schweigsam. Die von der Bevölkerung in die Tat interpretierte Symbolkraft wollte der Holländer nicht unterstützen: "Die Tat habe ich begangen. Sie können es mir ruhig glauben, daß ich das getan habe! Ich glaube, daß jetzt die Zeit dazu da ist, daß ich einfach ein Urteil für das bekomme, was ich getan habe. Sie können es mir doch glauben, daß ich den Reichstag angesteckt habe!"
Ebenfalls angeklagt waren der kommunistische Fraktionsvorsitzende Ernst Torgler, der als letzter Abgeordneter den Reichstag vor dem Brand verlassen hatte und sich am folgenden Tage freiwillig der Polizei stellte, sowie die drei bulgarischen Kommunisten Dimitroff, Popoff und Tannef. Der Schuhmacher Wassili Tannef schwieg häufig während des Prozesses und war später ein Opfer der Stalinschen Säuberungen. Der Student Blagoj Popoff gab meistens auf die an ihn gerichteten Fragen ruhig Auskunft. Ernst Torgler verblieb bis 1936 in Schutzhaft und trat nach Ende des Krieges in die SPD ein. Die schillerndste Figur des Prozesses war Georgi Dimitroff. Der damalige Leiter des Westeuropäischen Büros des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale nahm die Verteidigung seiner Person selbst wahr. Von seinem Recht auf Zeugenbefragung machte er häufig Gebrauch und wurde somit selbst Ankläger der Nationalsozialisten. Er wurde später Ministerpräsident Bulgariens und für seine Rolle im Reichstagsbrandprozeß weltberühmt.
E. Der Prozeß vor dem Prozeß
Vor dem eigentlichen Reichstagsbrandprozeß in Leipzig fand schon kurz nach der Brandstiftung ein von dem kommunistischen Propagandisten Willi Münzenberg organisierter Untersuchungsausschuß in London statt. Unter der Leitung des britischen Anwalts Denis N. Pritt versammelten sich bekannte Juristen aus dem europäischen Ausland, um in einem eigenen Gerichtsverfahren den Reichstagsbrand zu untersuchen.
Das Urteil, das geschickterweise einen Tag vor dem Prozeß in Leipzig am 21. September 1933 bekanntgegeben wurde, verurteilte die Nationalsozialisten und sprach die Kommunisten frei. Van der Lubbe hätte die Tat zwar begangen, in den Reihen der Nationalsozialisten jedoch seine Hintermänner und Auftraggeber gehabt. Dieser "Gegenprozeß" beeinflußte die öffentliche Meinung erheblich. Der Rundfunk hatte noch am gleichen Tag den vollen Wortlaut des Urteils in London, Moskau, Paris und New York wiedergegeben. In spontanen Versammlungen in ganz Europa wurde das Londoner Urteil vollinhaltlich gebilligt und die Nationalsozialisten als wahre Brandstifter bezichtigt.
Arthur Koestler sagt in seinen Memoiren dazu: "Dank Münzenbergs genialem Einfall waren die Nazis von Anfang an in der Defensive. Das Verfahren vor dem Reichsgericht dauerte drei Monate, und der größte Teil der Zeit wurde für verzweifelte Versuche verwendet, die Anklagen des Braunbuchs und die Ergebnisse des Gegenprozesses zu widerlegen. Das Braunbuch wurde in dem Prozeß sogar als der "sechste Ankläger" erwähnt. Es war eine einzig dastehende Tatsache in der Geschichte der Kriminologie, daß ein Gericht - und ein oberstes Gericht noch dazu - seine Bemühungen darauf konzentrierte, Anklagen einer dritten außenstehenden Partei zu widerlegen. Daher die Parade der Kabinettsmitglieder auf der Zeugenbank; daher das phantastische Verlangen des Gerichts, der Präsident der Potsdamer Polizei solle ein Alibi liefern für seine Betätigungen in der Zeit, in die das Verbrechen fiel."
Die Nazis erkannten zu spät die entgegengesetzte Wirkung, die durch das Eingehen auf den Gegenprozeß verursacht wurde. Es wäre besser gewesen, gar nicht auf die "internationale Propaganda" einzugehen.
F. Der Prozeßverlauf
Beim Beginn des Reichstagsbrandprozesses am 21. September 1933 hatten die Nationalsozialisten ihre Machtposition durch die Wahlen im März und durch das Ermächtigungsgesetz gefestigt. Abgesehen von der Verurteilung van der Lubbes kam es den Nazis auf die Verurteilung der Kommunisten als Hintermänner der Brandstiftung an. In der Voruntersuchung hatte Göring für den vorgesehenen Untersuchungsrichter Braune einen Ersatz besorgt, dem mehr daran lag, die Kommunisten um jeden Preis zu verurteilen. Der Reichsgerichtsrat Paul Vogt machte sich "mit gewohnter Gründlichkeit, entschuldbarer Beschränkung und unverzeihlicher Voreingenommenheit" daran, mit den Angeklagten zugleich die gesamte KPD zu verurteilen.
Der Hauptprozeß zog sich insgesamt über drei Monate hin. Der Präsident des Reichsgerichts war Wilhelm Bünger, ehemaliger Justizminister und Ministerpräsident des Landes Sachsen. Die scheinbar vorhandene Objektivität wurde zeitweise durch offene Parteinahme für die Nationalsozialisten nur vorgetäuscht.
Der Oberreichsanwalt Dr. Werner versuchte, mit umfassendem Material und umfangreichen Zeugenbefragungen die Schuld der Kommunisten darzulegen. Doch während Dr. Werner noch im Juli in der Anklageschrift für alle fünf Angeklagten die Todesstrafe forderte, so forderte er im Schlußplädoyer lediglich für Torgler und van der Lubbe die Todesstrafe.
Der Verteidiger der Bulgaren Dr. Teichert übernahm ruhig und gelassen seine Pflicht, was schließlich auch zum Erfolg führte. Van der Lubbe sprach mit seinem Pflichtverteidiger Dr. Seuffert kein einziges Wort. Engagiert übernahm Dr. Sack die Verteidigung von Ernst Torgler und publizierte auch später über den Prozeßverlauf.
Alle teilnehmenden Personen, mit Ausnahme von van der Lubbe, waren sich einig, daß die Tat unmöglich von einem allein begangen wurde. Während Dimitroff, der sich selbst verteidigte, die Schuld bei den Nationalsozialisten suchte und dies auch öffentlich im Prozeßverlauf mehrmals zur Schau stellte, so versuchte Dr. Werner, mit zahlreichen Zeugen und Sachverständigen die Tat als eine der Kommunisten zu beweisen.
Eine Schlüsselrolle in der Beweisfindung war die des Hausinspektors Scranowitz. Dieser beteuerte, bei einem sekundenlangen Blick in den Plenarsaal auf den Tischen und Bänken viele gleichmäßige kleine Feuerchen gesehen zu haben. Wenn dies tatsächlich stimmte, so war es in der Tat unmöglich, daß eine einzelne Person den Brand verursacht hatte. Die Polizisten, die vorher in den Saal schauten, konnten sich an die von Scranowitz beschriebene Situation jedoch nicht erinnern.
Bis auf wenige Ausnahmen blieb van der Lubbe auf die an ihn gerichteten Fragen die Antwort schuldig. Je länger der Prozeß dauerte, desto auffälliger wurde der körperliche und seelische Verfall des Holländers. Zeitweise lachte er apathisch auf, was einige als Beweis für seinen Irrsinn, andere als Zeichen seiner Unverfrorenheit ansahen.
Die herausragende Figur des Prozesses war jedoch Georgi Dimitroff. Er nahm als sich selbst verteidigender Angeklagter oft sein Recht auf Zeugenbefragung in Anspruch und wurde mehrmals aus dem Gerichtssaal verwiesen.
I. Das Duell Göring / Dimitroff
Dimitroff stützte sich bei seiner Verteidigung auf die reiche Erfahrung, die er als Berufsrevolutionär gesammelt hatte. Von Beginn des Jahrhunderts an wurde er oftmals von den zaristischen Behörden in Bulgarien verhaftet und abgeurteilt. Seine große Gabe war es, weder bei seiner Verhaftung am 9. März 1933, noch bei den Kreuzverhören und Vernehmungen die Beherrschung zu verlieren.
Die wahrhaft "große Stunde" Dimitroffs ergab sich, als er den als Zeugen vor Gericht geladenen Göring befragte. Göring berichtete von seiner Überzeugung, ein kommunistisches Komplott aufgedeckt zu haben: "Das Fanal, das die kommunistische Partei hier gab, wollte ich mit einer Willensdokumentation beantworten, die den Herren Kommunisten eindeutig sagte, wie ich den Kampf gegen den Kommunismus zu führen gedachte. Ich hatte tatsächlich vor, in jener Nacht Herrn van der Lubbe sofort aufzuhängen. Wenn ich es nicht getan habe - kein Mensch hätte mich daran hindern können -, so nur aus dem Grunde, weil ich mir sagte: Wir haben nur den; es muß aber eine ganze Schar gewesen sein; vielleicht brauche ich den Mann noch als Zeugen. Dies war die einzige Erwägung, die mich damals davon abhielt, der Welt sofort zu zeigen, wenn die eine Seite entschlossen ist zu zerstören, dann ist die andere Seite ebenso entschlossen, sich das nicht gefallen zu lassen."
Nun war Dimitroff die Zeugenbefragung erlaubt, und es ergab sich folgender legendärer Wortwechsel:
Dimitroff: (...) Gegen die kommunistische Partei in Deutschland einen Kampf zu führen, ist Ihr Recht. Mein Recht ist (...), ihre Regierung zu bekämpfen, und wie wir sie bekämpfen, das ist eine Sache der Kräfteverhältnisse, ist nicht eine Sache -
Präsident: Dimitroff, ich untersage Ihnen, hier eine kommunistische Propaganda zu treiben. (Dimitroff: Er macht nationalsozialistische Propaganda hier!) Ich untersage Ihnen das aufs ausdrücklichste. Kommunistische Propaganda wird hier in diesem Saal nicht getrieben, und das war eben ein Stück davon.
Dimitroff: Herr Präsident, im Zusammenhang mit meiner letzten Frage steht jedenfalls zur Klärung die Frage: Partei und Weltanschauung. Herr Ministerpräsident Göring hat erklärt, daß eine ausländische Macht wie die Sowjetunion und in Verbindung mit dieser Macht dieses Land alles machen kann, was es will, aber in Deutschland geht es gegen die Kommunistische Partei. Diese Weltanschauung, diese bolschewistische Weltanschauung, regiert die Sowjetunion, das größte und beste Land in der Welt. (Große Heiterkeit) Ist das bekannt? (Erneute Heiterkeit.)
Zeuge Göring: Hören Sie mal, jetzt will ich Ihnen sagen, was im deutschen Volke bekannt ist. Bekannt ist im deutschen Volke, daß Sie sich hier unverschämt benehmen und hierhergelaufen kommen, den Reichstag anstecken und dann hier mit dem deutschen Volke noch solche Frechheiten sich erlauben. Ich bin nicht hierhergekommen, um mich von Ihnen anklagen zu lassen. (Dimitroff: Sie sind Zeuge!) Sie sind in meinen Augen ein Gauner, der längst an den Galgen gehört. (Bravo! im Zuhörerraum)
Dimitroff: Sehr gut, ich bin sehr zufrieden. (...) Haben Sie Angst wegen dieser Fragen, Herr Ministerpräsident?
Göring: Sie werden Angst haben, wenn ich Sie erwische, wenn Sie hier aus dem Gericht raus sind, Sie Gauner Sie!
In dem Rededuell, in dem sich zwei völlig unterschiedliche Ideologien gegenüberstanden, hatte Dimitroff Göring bloßgestellt und ihn zu Drohungen und Wutausbrüchen gebracht. Es ist sicher auf den mangelnden Geist zurückzuführen, daß Göring die Attacken Dimitroffs nicht durchschaute und sich auf dieses niedrige Niveau begab.
Anders reagierte vier Tage später Goebbels, als dieser von Dimitroff als Zeuge befragt wurde:
Dimitroff: Ist dem Zeugen bekannt, daß in Österreich und in der Tschechoslowakei seine Gesinnungsgenossen, die Nationalsozialisten, jetzt auch illegal arbeiten müssen, illegale Propaganda machen müssen und sich manchmal falscher Pässe bedienen und von falschen chiffrierten Adressen und chiffrierten Korrespondenzen auch in ihrem politischen Kampf Gebrauch machen müssen?
Goebbels: Es scheint, daß sie die nationalsozialistische Bewegung beleidigen wollen. Ich antworte Ihnen darauf mit einem Wort von Schopenhauer: Jeder Mann verdient, daß man ihn ansieht, aber er verdient nicht, daß man mit ihm redet!
Goebbels fiel zwar nicht auf Dimitroffs Provokationen herein, doch konnte Dimitroff mit seiner geschickten Befragung zumindest erzielen, daß Goebbels nicht in der gewohnten Art agieren konnte.
Allein, daß führende Nationalsozialisten als Zeugen geladen wurden zeigt schon, wie sehr das Gericht darauf bedacht war, nicht nur zu einer Verurteilung zu gelangen, sondern auch die Ausführungen des Prozesses in London zu widerlegen.
Der Auftritt Dimitroffs hatte zur Folge, daß die bisher erfolgten Originalübertragungen von dem Prozeß eingestellt wurden und auch die Presseberichte sich nicht mehr so umfangreich darstellten.
II. Das Urteil
Nach 57 Verhandlungstagen wurde am 23. Dezember 1933 Marinus van der Lubbe zum Tode verurteilt und am 10. Januar 1934 enthauptet.
Van der Lubbe wurde schuldig gesprochen wegen Hochverrats in Tateinheit mit aufrührerischer Brandstiftung und versuchter einfacher Brandstiftung. Außerdem wurden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt.
Das Reichsgericht sprach für die Verbrechen, die van der Lubbe begangen hatte, das Todesurteil aus, da am 29. März 1933 eigens ein Gesetz - die "Lex van der Lubbe" - erlassen wurde, das die Notverordnung vom 28. Februar 1933 auch auf die Taten erstreckte, die zwischen dem 31. Januar und dem 28. Februar 1933 begangen wurden. Die Notverordnung sah statt einer Zuchthausstrafe für schwere Brandstiftung die Todesstrafe vor.
Die übrigen Angeklagten wurden mangels Beweises freigesprochen, wobei die Anklagevertretung selbst schon für die drei Bulgaren Freispruch beantragt hatte. Die Alleintäterschaft van der Lubbes verneinte man jedoch auch im Urteil: "...es ist durch diesen Prozeß erwiesen, daß die Mittäter und Auftraggeber van der Lubbes im Lager der Kommunisten stehen, daß die Reichstagsbrandstiftung ein Werk der Kommunisten und der ihnen nahestehenden und gleichzusetzenden Organisationen zur Verwirklichung des Bürgerkriegsziels dieser Partei gewesen sind".
Zu der Verurteilung der Nationalsozialisten im Londoner Prozeß nahm das Gericht auch im Urteil Stellung: "Die gesinnungsmäßigen Hemmungen dieser Partei schließen derartige verbrecherische Handlungen, wie sie ihr von gesinnungslosen Hetzern zugeschrieben werden, von vornherein aus."
Das vom Reichsgericht in Leipzig gesprochene Urteil erschien mehr als fragwürdig. Es war daher auch Anlaß zahlreicher Anschlußprozesse, die nach 1945 aufgrund des Reichstagsbrandprozesses geführt wurden. Nicht nur das Maß der Verurteilung van der Lubbes erschien zweifelhaft, sondern auch die generelle Beweisfrage zur Schuld oder Unschuld der Nationalsozialisten.
G. Die Wiederaufnahme des Prozesses
Durch die bis zuletzt ungeklärt gebliebene Täterfrage gingen die Spekulationen über Schuld oder Unschuld der Nationalsozialisten nach 1945 weiter.
Eine erste Stellungnahme der Nachkriegs-Rechtsprechung fand sich in einem Urteil des Landgerichts Düsseldorf. Der Publizist Hans Bernd Gisevius hatte über den ehemaligen SA-Führer Heini Gewehr verbreitet, dieser sei für die Brandstiftung des Reichstages verantwortlich. Die eingeleiteten Ermittlungen führten zu keinem Erfolg, so daß das Landgericht Gisevius die Verbreitung der Anschuldigungen untersagte.
Interessant war eine Passage der Urteilsbegründung, die sich zur Täterfrage äußerte: "Somit ist es aufgrund des Urteils des Reichsgerichts, der Kenntnis der mit den Ermittlungen zum Reichstagsbrand befaßten noch lebenden Personen und den Äußerungen des verstorbenen Diehls zweifelhaft, ob an der Reichstagsbrandstiftung überhaupt mehrere Personen beteiligt waren."
Der Bruder des hingerichteten Marinus van der Lubbe, Johannes Marcus van der Lubbe, bemühte sich in den fünfziger Jahren um eine Aufhebung des Urteils des Reichsgerichts.
Durch das Berliner Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts auf dem Gebiete des Strafrechts vom 5. Januar 1951 konnte ein Verfahren zur Aufhebung des Fehlurteils eingeleitet werden. Verteidigt wurde Johannes Marcus van der Lubbe durch Arthur Brand, einem bekannten Strafverteidiger der Weimarer Zeit. Nachdem ein erster Antrag Brands am 3. Mai 1958 vom Landgericht Berlin als unzulässig abgewiesen wurde, hatte ein zweiter Versuch Erfolg. 1967 wurde vom Berliner Landgericht das Urteil des Reichsgerichts geändert. Marinus van der Lubbe wurde der menschengefährdenden Brandstiftung und der versuchten einfachen Brandstiftung für schuldig befunden. Die Todesstrafe wurde zu einer Gesamtstrafe von 8 Jahren Zuchthaus umgewandelt und die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte fiel weg. Im übrigen wurde der Antrag auf Aufhebung des Reichsgerichtsurteils abgewiesen. In einer anschließenden Berufung wurde das Urteil vom Kammergericht bestätigt.
1970 wurde der stellvertretende Hauptankläger der Nürnberger Prozesse Robert M.W. Kempner mit einer erneuten Wiederaufnahme vom Bruder van der Lubbes beauftragt.
Hauptfrage bei dem zu stellenden Wiederaufnahmeantrag nach § 359 StPO war die Frage der Zuständigkeit. Welches Gericht tritt an die Stelle des ehemaligen Reichsgerichts? Kempner befragte in dieser Sache den BGH, der 1974 das Berliner Landgericht für zuständig hielt, da dort bereits das erste Verfahren, der Rücknahmeantrag Brands, stattgefunden hatte. 1979 stellte Kempner dann am Landgericht Berlin einen Wiederaufnahmeantrag in der Strafsache van der Lubbe.
Das Landgericht Berlin hat 1980 das Urteil in der Gestalt des Beschlusses des Landgerichts Berlin vom 21. April 1967 unter Freisprechung des Marinus van der Lubbe aufgehoben.
In der Urteilsbegründung wurde dem Reichsgericht von 1933 Rechtsbeugung vorgeworfen. Diese schwere Anschuldigung eines deutschen Gerichtes veranlaßte die Staatsanwaltschaft, eine sofortige Beschwerde beim Kammergericht einzulegen. Das Kammergericht hob das Urteil des Landgerichts Berlin auf. In der Begründung hieß es, das Berliner Landgericht sei für ein solches Verfahren nicht zuständig; in der Bundesrepublik gäbe es kein Gericht, das für die Wiederaufnahmeverfahren von Urteilen des ehemaligen Reichsgerichts zuständig ist.
Kempner erbat daraufhin beim BGH eine Stellungnahme zur Zuständigkeit. Dieser erklärte, daß allein die Tatsache, daß das ehemalige Reichsgericht seinen Sitz in Leipzig, also derzeit außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, hatte, nicht die Annahme begründet, die Entscheidungen des Reichsgerichts wären nicht nachprüfbar. Der BGH sprach dem Kammergericht wiederum die Zuständigkeit zu.
Das von Kempner angerufene Kammergericht lehnte den Wiederaufnahmeantrag erneut als unzulässig ab. Der Beschluß des Bundesgerichtshofes sei für das Kammergericht nicht bindend.
Kempner hatte gegen diesen Beschluß des Kammergerichts sofortige Beschwerde beim BGH eingelegt. Dieser hat 1983 die Beschwerde Kempners endgültig zurückgewiesen. In der Begründung wurde gesagt, daß das nationalsozialistische Unrecht durch die Änderung der Strafe auf acht Jahre Gefängnis wiedergutgemacht wurde. Ein Beweis für die Unschuld van der Lubbes konnte nicht gebracht werden. Es gäbe weder Gründe, die für eine Annahme der Beeinflussung van der Lubbes sprächen, noch Gründe dafür, daß van der Lubbe in einem übergesetzlichen Notstand gehandelt hätte.
Robert W. Kempner wollte sich nicht mit der endgültigen Ablehnung seines Antrages abfinden und publizierte noch vielfach über die ungeklärte Täterfrage und die Schuld der Nationalsozialisten.
In seinem verständlicherweise stark emotional beeinflußten Interesse stand eher die nachträgliche Verurteilung der Nationalsozialisten als die rechtsstaatlich korrekte Aburteilung des Holländers van der Lubbe. Kempner verstarb am 15. August 1993.
H. Der Gelehrtenstreit um die Täterfrage
Auch zwei Generationen nach dem Brand des Reichstages ist die Täterfrage nicht eindeutig geklärt.
In einer Serie des Magazins "Der Spiegel" trat Fritz Tobias den Beweis dafür an, daß van der Lubbe der alleinige Täter des Brandes war. Mit zahlreichen Nachweisen und Recherchen veröffentlichte Tobias diese These 1962. Tobias wertete hierbei die zahlreichen Polizeivernehmungen van der Lubbes aus und stellte diese mit den Zeugenaussagen des Prozesses gegenüber.
In der Wissenschaft stieß dieser Täterbeweis auf vielfache Ablehnung. 1968 setzte sich in Luxemburg unter dem Vorsitz des Schweizer Geschichtsprofessors Walther Hofer ein internationales Komitee zusammen, um die Täterschaft der Nationalsozialisten nachzuweisen. Herausgebracht wurden zwei Bände, die mit zahlreichen neuen Beweisen und Untersuchungen die Täterschaft der Nationalsozialisten verdeutlichen sollte. Acht Jahre später veröffentlichten zwei jüngere Vertreter der "Tobiasschen These" einen Sammelband, der die Alleintäterschaft van der Lubbes nochmals verdeutlichen sollte. In dieser Ausgabe warfen die Autoren den Beteiligten des Luxemburger Komitees die Fälschung von hervorgebrachten Beweisstücken vor. Die Autoren behaupten, in den angeblich historischen Dokumenten tauchten teils tatsächlich stattgefundene historische Sachverhalte auf, teils hineininterpretierte Behauptungen, die die Schuld der Nationalsozialisten beweisen sollten. Die Tatsache, daß sämtliche Verfasser der Beweisdokumente nicht mehr am Leben sind, nehmen die Autoren zum Anlaß, die Vertreter des Luxemburger Komitees der Quellenfälschung zu bezichtigen.
Der dritte Band der wissenschaftlichen Dokumentation des Luxemburger Komitees enthält zu den genannten Vorwürfen ein Gutachten des Urkundenlabors der Kantonspolizei Zürich. Dieses besagt, daß an der Echtheit der umstrittenen Dokumente nicht zu zweifeln ist.
Eine Stellungnahme der Vertreter der Alleintäterschaftsthese hierzu steht noch aus.
Nicht zuletzt durch die Wiedervereinigung Deutschlands und die damit zusammenhängenden Öffnungen von bisher unzugänglichen Archiven lassen auf neue Erkenntnisse in Sachen Täterschaftsfrage hoffen.
J. Die aktuelle Beweislage der Nazi-Täterschaft
Folgende Geschehnisse sprechen derzeit für eine mögliche Täterschaft der Nationalsozialisten:
I. Die Aktivitäten im Februar 1933
Nachdem Herrmann Göring das Preußische Innenministerium übernommen hatte, beauftragte er den Oberregierungsrat Rudolf Diels, eine Liste von potentiellen führenden Gegnern des neuen Regimes zusammenzustellen. Ebenso wurden Möglichkeiten in Kreisen der NSDAP besprochen, wie man eine größere Anzahl Festgenommener spontan unterbringen kann.
Ebenso wurde im Februar plötzlich ein größeres Kontingent von Schutzpolizei von Potsdam nach Berlin befohlen. Dies geschah am Abend vor dem Reichstagsbrand.
Am Vormittag des 27. Februar ordnete Göring an, daß die Autos im Innenhof des Innenministeriums nicht für Dienstfahrten der Beamten auf dem Nachhauseweg zur Verfügung stehen würden.
Auch der Entwurf für eine Notverordnung zum Schutz von Staat und Volk wurde schon Tage vor dem Reichstagsbrand diskutiert.
II. Das Ermittlungsverbot nach "rechts"
Bei den Untersuchungen nach der Tat wurde Diehls von Göring befohlen, Ermittlungen nach "rechts" nicht durchzuführen.
Diehls selbst hat später in den Nürnberger Prozessen geäußert, daß der "heimtückische Dicke" (Göring) den Brand organisiert habe und van der Lubbe nur ein armer Kerl gewesen sei.
III. Die Aussage Freybergs
Der ehemalige Fliegergeneral Freiherr von Freyberg hat in Form eines Gedichtes seinen ehemaligen Fliegerkameraden Lörtzer der Reichstagsbrandstiftung beschuldigt. Im Aero-Club in Berlin, dessen Mitglieder Freyberg und Lörtzer waren, äußerte Lörtzer in einem Gespräch, er wisse gar nicht, was die Leute diskutieren. Er selbst habe den Reichstag im Auftrag von Göring angezündet.
Freyberg hat dieses später in Gedichtform niedergeschrieben.
(...) "Den Brand hat Göring ausgedacht,
und Hauptmann Lörtzer dann gemacht:
Mit einem Stroßtrupp der SA
Wie Hitler wollte, es geschah." (...)
IV. Der unterirdische Gang
Von der Dienstwohnung des Reichstagspräsidenten verlief ein unterirdischer Gang zum Reichstagsgebäude.
Nachtwächter hörten aus diesem Gang nachts oft Schritte, da der Boden des Ganges mit Metallplatten ausgelegt war.
Um sich zu vergewissern, spannte ein Nachtwächter Fäden am Ausgang des Ganges und stellte am nächsten Morgen fest, daß diese durchtrennt waren.
Der Hausinspektor im Reichstag bekam kurz vor der Brandnacht von übergeordneter Stelle die Anweisung, abgestellte Dinge im Keller des Gebäudes wegzuräumen, so daß dieser ordnungsgemäß begehbar ist. Der Hausinspektor wunderte sich über diese Anweisung, da die herumliegenden Dinge jahrelang niemanden interessiert hatte.
K. Stellungnahme
Die politische und historische Brisanz dieses Themas war seit 1933 bis heute Ausgangspunkt zahlreicher Gerichtsverfahren, Veröffentlichungen und Diskussionen. Auch beide deutsche Staaten mit ihrer unterschiedlichen politischen Vergangenheit behandelten den Reichstagsbrandprozess und die Täterfrage oft konträr.
Die große Machtposition, die die Nationalsozialisten mit dem Brand festigten, ist die Ursache, warum gerade dieser Prozeß so eingehend diskutiert wurde. Die Tatsache, daß das Verbrechen niemals restlos aufgeklärt wurde und sicher auch nicht wird, läßt die Vermutung zu, daß die Diskussion und die damit verbundenen Anschuldigungen und Unterstellungen auch in Zukunft nicht nachlassen werden.
Nicht nur das Fehlverhalten des Reichsgerichts ist wissenschaftlich so interessant, daß weitere Untersuchungen und Recherchen - auch durch mögliche neue Archivöffnungen - angestellt werden können.
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