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Goethe und der Basaltstreit

11 . Sitzung der Humboldt-Gesellschaft am 13.06.1995 von Helge Martens



Inhalt:

A. Einordnung des Basaltstreits

B. Die Positionen

C. Die Neptunisten

D. Zwischen den Fronten

E. Die Plutonisten

F. Goethe



A. Einordnung des Basaltstreits

Die Diskussion im späten 18. Jh. um die Entstehung der Erde, auch "Basaltstreit" genannt, ist in ihrer geisteswissenschaftlichen Bedeutung fast gleichzusetzen mit der Frage :"Kreist die Sonne um die Erde oder umgekehrt?" Der "Basaltstreit" ist eine Auseinandersetzung um Weltanschauungen, Weltbilder und Welterklärungsmodelle. Sie ist als wichtiger Schritt im Rahmen der abendländischen Ausdifferenzierungsprozesse zu bewerten, in deren Folge unser "modernes" Weltbild und die "moderne" Gesellschaft entstanden sind.

Der Basaltstreit ist eine vordergründig naturwissenschaftlich geführte Diskussion, die aber aus einer theologischen Fragestellung entstanden ist. Auf seiten der "Neptunisten", den Widersachern der "Plutonisten", bleibt die Diskussion lange theologisch gefärbt während sich die "Plutonisten" bewußt von religiösen Welterklärungsmodellen absetzen.
Auch wenn sich die "Neptunisten" letztendlich nicht durchsetzen konnten und die modifizierten Ansichten der "Plutonisten" heute als wissenschaftlich gültig anerkannt werden, wollen wir uns hier vornehmlich mit den Positionen der "Neptunier" befassen, ist ihre Auffassung von der Entstehung der Welt doch allemal die interessantere. Außerdem bildet sich, trotz ihrer Falsifizierung, die Grundlage der modernen Geologie. Es sei gleich anzumerken, daß sich Goethe von Anfang an, später auch wider besseres Wissen, eher auf die Seite der "Neptunisten" geschlagen hat. Wir wollen fragen, was ihn dazu bewegt hat.

Das 18. Jh. war im wesentlichen von folgenden Diskussionen beherrscht:

a. Die "Theodizee-Diskussion":
Es geht um die Rechtfertigung Gottes in einer von Übeln bedrohten Welt, ausgelöst durch das große Erdbeben in Lissabon 1755.

b. Die Aufklärung:
Kant fragt : "Wie soll der Mensch aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit ausbrechen?" Die Stichworte stammen im wesentlichen aus Frankreich, man beruft sich auf das Naturrecht (vgl. Rousseau). Die Folge ist ein neues Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft, eine neue Rolle des Staates und gravierende soziale Umwälzungen, die in zwei Ereignissen zunächst auf dem Papier ihren Niederschlag finden: Im amerikanischen Unabhängigkeitskampf, welcher nicht nur in einer Unabhängigkeitserklärung (1776), sondern auch in einer Verfassung (1783) gipfelt. Außerdem in der französischen Revolution (1789 ff), welche schlechthin als die Zäsur in der neuzeitlichen Geschichte beschworen wird. Es geht um "Menschenrechte", "Bürgerrechte", "Regierungsformen", das Verhältnis zur Obrigkeit und natürlich um "Freiheit". Zunächst aber fließt erst einmal jede Menge Blut und viele tausend Köpfe rollen.

Man darf die Ausgangspositionen der Forderungen und Diskussionen nicht vernachlässigen: Im 18. Jh. gab es noch die Folter (in Preußen durch Friedrich II. 1740 abgeschafft). Hexenprozesse (letzter 1775 in Kempten), Leibeigenschaft und Ständeordnung. Goethe wird in eine Rokokowelt hineingeboren.

B. Die Positionen

Im "Basaltstreit" kämpfen "Neptunisten", auch "Geognostiker" genannt, und "Plutonisten" bzw. "Vulkanisten" um die richtige Theorie zur Weltentstehung. Sind die Erde und ihre Gesteine, insbesondere der Basalt aus dem Meer, als Sedimentgestein, oder aus dem Feuer (Lava, Vulkanausbrüche, Magma) entstanden? Der Höhepunkt des Basaltstreites ist im Jahrzehnt nach 1780 anzusetzen.

Goethe stand zeit seines Lebens nicht ganz eindeutig auf einer der beiden Seiten, tendierte aber aus gefühlsmäßiger Überzeugung (wider besseres Wissen) zu den Neptunisten, deren evolutionäres Modell in seiner Regelhaftigkeit und Ordnung verständlicher als die revolutionäre Vorstellung, daß aus dem Chaos eines Vulkanausbruchs eine Formgebung möglich sei: Der Basalt und andere Gesteine, -ja eventuell die ganze Erde...

C. Die Neptunisten

Die Vorstellungen der Neptunisten basieren auf der biblischen Vorlage: Man hält sich eng an den alttestamentlichen Schöpfungsbericht (Mose I) und an den II. Brief Petrus Kap. 3 Vers 4-8 im Neuen Testament. Biblische Texte werden von ihnen naturwissenschaftlich ergänzt: Es geht im wesentlichen darum, ob biblische Texte wörtlich oder allegorisch zu verstehen seien. So streitet man sich darum, ob die sechs Schöpfungstage als sechs Schöpfungsepochen interpretiert werden dürften oder aber ob Gott die Welt tatsächlich in sechs "Erdentagen" erschaffen habe. Die biblische Vorstellung vom Schöpfungsvorgang bleibt bis ins frühe 19. Jh. (!) für gewisse "Naturwissenschaftler" relevant.

Wichtig für ihre Argumentation sind die Denkmodelle des Londoner Erzbischofs Usher:
1650 berechnet er aus dem Alten Testament die Daten der Schöpfungstage: Die Schöpfung sei am 23.10.4004 v.Chr. abgeschlossen gewesen. Hier wurde die Heilige Schrift wörtlich genommen. Es zeigt sich aber eine naturwissenschaftliche Neugierde, die einer klaren Fragestellung folgt. Vom Geist der Renaissance ist indes nur noch wenig zu spüren, wir befinden uns im Hochbarock. 200 Jahre vorher hätte man ganz anders gefragt. Zu bedenken ist, daß die Menschen im 17. und 18. Jh. in vielen Bereichen auf bloße Spekulationen angelesen waren: Unbekannt war z.B. der Schalenaufbau der Erde, die Plattentektonik, Entstehungsmöglichkeiten der Gesteine (Magmatite, Sedimentite, Metamorphite) Zeiträume, Stoffkreisläufe.

Die grundsätzlichen Positionen der Neptunisten waren:

-"Nicht nur der Basalt, sondern auch die anderen Gesteine. Gebirge und somit die ganze Erde ist aus dem (Meer-) Wasser entstanden."
-"Durch die Sintflut (AT) ist die Welt von Gott zwar gestraft, aber auch erhalten worden."
-"Die Erde ist zielgerichtet von Gott eingerichtet worden." Dieses teleologische (vgl. griech. "telos" : das Ziel) Weltbild impliziert eine sinnvolle Schöpfung, eine zielgerichtete Entwicklung und ein Ende mit eschatologischen Verheißungen, also kein zufälliges. Dieses evolutionäre "organische Wachstumsmodell" findet sich später in säkularisierter und modifizierter Form bei Goethe wieder.
-Die allegorische Interpretation der Zeitvorstellung im AT-Schöpfungsbericht ist biblisch gerechtfertigt: "Für Gott ist ein Tag gleich 1000 Jahre und umgekehrt" 2.Petrus Kap. 3 Vers 4-8.

Thomas Burnett gilt als "Vater der Neptunisten". 1681 veröffentlicht der Forscher sein Werk "Telluris Theoria Sacra" ("Vom Ziel der Heiligen Theorie/Schrift"). Darin errechnet er, ganz im Geiste Ushers, das Datum des Jüngsten Gerichts: 1836.
Die Rezeption Burnetts reicht bis ins 19. Jh. hinein. Burnett stellt sich die Entstehung der Erde so vor: Die festen Partikel der ursprünglichen "kosmischen Flüssigkeit" setzen sich der Erdgravitation folgend im Zentrum ab. Feste Erdkerne bilden sich. Dabei ist die Gravitation Ausdruck von Gottes Willen auf Erden. Die Berge sind das Ergebnis der Sintflut, ein Zeichen zur Warnung der Menschen. Zur Strafe für die menschliche Sündhaftigkeit verhäßlichte Gott die Erdoberfläche durch die Gebirge. Inbegriff dieser Scheußlichkeiten sind die Alpen: Ein englischer Reisender beschrieb seine Eindrücke des höchsten Gebirges Europas im 17. Jh. mit "strange, horrible, frightful".
Die nicht-romantische Rezeption der Alpen erhielt sich bis in Goethes Zeit hinein. Erst im 18. Jh. fand eine Umwertung des Naturgefühls statt, welches auch die Alpen allmählich als schön, großartig und erhaben erscheinen ließ (vgl. Hallers Gedicht "Die Alpen", ca. 1732 und Klopstocks "Zürcher See" von 1771 sowie auch Schillers Schriften über das "Erhabene" aus den 90'cr Jahren).
Bei Burnett herrscht eine allegorische Auffassung des Schöpfungsberichtes vor: Bei ihm entsprechen die Schöpfungstage des AT einzelnen Schöpfungsepochen. Burnetts Schüler und Nachfolger versuchen dann, sein Modell zu modifizieren. Im Kern bleibt es aber für die Neptunisten gültig.

Einer der bedeutendsten Nachfolger Burnetts ist Woodward. Auch für ihn ist die Erdgravitation ein Beispiel für die nicht abreißende Wirkung Gottes auf Erden: "Die Gravitation ist Gotteswerkzeug" (1726 ff). "Auch eine neue Sintflut ist jederzeit durch sein Wort wieder möglich." Die "historische" AT-Sintflut hatte er sich so vorgestellt: Das Meer hatte auch die höchsten Gipfel bedeckt, so daß es nicht verwunderlich war, daß man auch auf den höchsten Gipfeln die gleiche Fazies (ursprüngliches Ablagerungsmilieu der späteren Gesteine, z.B. marin, limnisch, terrestrisch, anaerob...) mit gleichen Fossilien findet wie im Tal.

Erste Zweifel hatten sich schon bei Robert Hooke eingestellt. In seinem Werk "Diskurs über das Erdbeben" (1705) hatte er schon in Frage gestellt daß die Erdauffaltungen (Gebirge) als Folge der Sintflut anzusehen seien. Auch sei die Sintflut kein einzelnes, begrenztes Ereignis gewesen, sondern die geologischen Schichtungen seien vielmehr Folgen verschiedener Schichtenablagerungen. So seien auch die unterschiedlichen Fossilien zu erklären. Es habe also mehrere Schöpfungsphasen in Form von evolutionären Prozessen gegeben.
Damit stand er in Widersprach zur Kirche, welche von einem einzigen Schöpfungsakt ausging.

Der Neptunist Lehmann nimmt in seinem Werk "Geschichte von Flözgebirgen" (1756) eine erste Stufe von Granitbergen, primitive Gebirge ohne Fossilien, an. Sie seien ein ursprüngliches Schöpfungsinventar. Die sogenannten "Flözgebirge", geschichtet und fossilienreich, seien Folgen der Sintflut. Diese allegorische Bibelauslegung vertrat auch Füchsel 1773 in seinem Werk "Historia Terrae Et Maris". Er ging allerdings von mehreren Sintfluten aus, welche als Epochen der Erdgeschichte zu deuten seien. Dieses gestufte Entwicklungsmodell ist bereits ein moderner Ansatz, der, vielfach überarbeitet, noch heute Gültigkeit besitzt.

Lehmann und Füchsel sind die Vorläufer des "kanonisierten" Neptunismus. Sie schufen die Grundlagen für die Lehre von Abraham Gottlob Werner (1749-1817), des wichtigsten Neptunisten aus Freiberg/Sachsen, wo sich noch heute die berühmte Bergakademie befindet. Diese war damals in Sachen Bergbautechnik weltweit führend und es ist nicht nur eine geographische Nähe zu Goethes Weimar festzustellen. Werner gilt neben Agricola und Klaproth als der bedeutendste Mineraloge, seine Systematik hat einen großen Einfluß auf die moderne Mineralogie gehabt. Er war ein orthodoxer Neptunist und der "Gralshüter" erdevolutionären Wissens. Er vertrat eine "Drei-Epochenlehre" zur Weltentstehung, wobei er davon ausging, daß der allergrößte Teil der geologischen Bildungen sich im Wasser vollzogen habe. Ab 1788 subsumierte er darunter auch den Basalt. Lehmanns Modell im einzelnen:

- Im "Urozean" sind die Stoffe bereits in gelöster Form enthalten, aus denen die "kristallinen Urgesteine" (sic !) in chemischen Prozessen durch Ausfällung entstanden seien, z.B. der Basalt und Gneis.
- Verdunstungsprozesse senkten den Wasserspiegel, Verwitterung und Belebung des "Urozeans" führten zur Sedimentbildung. Die verfestigten, fossilienreichen Sedimente hätten die "Flözgebirge" (aus Grauwacken, Sandsteinen und Kalken) entstehen lassen. Ab 1788 zählt Werner auch den Basalt dazu, also zu den Sedimenten! Er ging von großen Zeiträumen aus, sogenannten "Formationen".
- Durch weitere Verdunstung sei der Meeresspiegel weiter abgesunken, die "aufgeschwemmten" Gebirgsarten seien entstanden. "Mechanisch" entstandene Ablagerungen seien die Kiese, Sande, Tone. Jetzt entstünden auch vulkanische Gesteine (Lava und Bimsstein, kein Basalt), diese hätten aber nur lokale Bedeutung, und zwar durch Entzündungen unterirdischer Kohlelager in den Flözgebirgen. Werner lehnte die Vorstellung ab, daß es im Erdinnern ein "glutflüssiges Erdfeuer" gäbe.

Von Füchsel übernahm Werner den Begriff "Geognosie" für seine Lehre. Die wichtigsten Gedanken hatte er bereits als 28-jähriger in seiner "Kurze(n) Klassifikation und Beschreibung der verschiedenen Gebirgsarten" 1787 veröffentlicht. Bereits 1774 hatte Werner seine "Systematik der Mineralogie" als 24-jähriger veröffentlicht, woraufhin er noch im selben Jahr einen Lehrstuhl an der Freiberger Akademie angetragen bekam.

Werners Lehre hat einen großen Einfluß auf das Denken Goethes gehabt:

- 1775 hatte Herzog Karl August sein Regierungsamt angetreten. Er entschied sich für eine Wiederaufnahme des Bergbaus in Thüringen (Timenau).
- 1776 wird Voigt, ein Beamter Karl Augusts, zur Ausbildung nach Freiberg zu Werner geschickt.
- 1777 wird Goethe Leiter der Bergwerkskommission in Weimar. Im selben Jahr macht er seine erste Harzreise. Unter geologischen Gesichtspunkten beginnt er mit dem Aufbau seiner berühmten Gesteinssammlung.
- 1799 unternehmen Goethe und der Herzog eine Schweizreise.
- 1780 kehrt Voigt aus Freiberg zurück. Goethe lernt Werners Systematik kennen. Daraufhin ordnet Voigt die Gesteinssammlung Goethes nach Werners Systematik. Goethe beginnt mit Neptunismus-Studien, er liest die Werke Füchsels und Lehmanns, also die ursprünglichen Werner-Quellen, aber auch kritische Ansätze, z.B. Buffon und Saussure.

D. Zwischen den Fronten

Carl Wilhelm Voigt, der in Freiberg ausgebildete Schüler Werners, wurde zum Gegner seines Lehrers, als er durch eigene Studien erkannte, daß der Basalt tatsächlich vulkanischen Ursprungs sei. Ab 1780 geriet er in Opposition zu der Freiberger Koryphäe, als er im Auftrage Goethes Erkundigungen zur Erstellung einer geologischen Karte des Weimeraner Herzogtums einzog. 1783 erkannte er auch die Rhön in seinen "Mineralogischen Betrachtungen" als vulkanisch an. In Frankreich hatte dies schon 1763 Desmerest für die Auvergne erkannt. Goethe nahm von beiden Forschungsergebnissen Kenntnis, er zog aber für sein eigenes Denken nicht die notwendige Konsequenz.
Auch Alexander von Humboldt, in Freiberg von Werner ausgebildet nahm an der Diskussion teil. Seine erste Veröffentlichung "Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rhein" von 1790 weist ihn früh als Plutonisten aus. Den Nachweis für die nicht-marine Entstehung der Ergußgesteine konnte er allerdings erst nach der Besteigung des Pico Teyde auf Teneriffa und in den Anden erbringen (1799 ff).
Den endgültigen Beweis erbrachten 1805 Leopold von Buch, auch ein Werner-Schüler, und Alexander von Humboldt, als sie nach einem Vesuvausbruch dem Basalt seinen vulkanischen Ursprung nachweisen konnten. Auch von Buch hatte 1802 die Auvergne studiert.

E. Die Plutonisten

Die "Plutonisten" werden auch "Vulkanisten" genannt. Die meisten Plutonisten waren anfangs Anhänger der neptunistischen Argumentation gewesen. Meistens hatten ihre Naturbeobachtungen mit den Spekulationen der Neptunier keine Übereinstimmung gebracht. Ein Beispiel wäre der in seiner Schrift "Naturgeschichte" (1746) noch überzeugte Neptunier Buffon (1707-88). der mit seinen Zweifeln und seiner Veröffentlichung "Epochen der Natur" 1778 zum Plutonisten wurde. Er blieb mit seiner Annahme von sieben Erdepochen zwar höchst spekulativ, aber der Epochengedanke wurde in die moderne Geologie übernommen. Buffon erkannte den Basalt als vulkanisch an und behauptete, daß die "Urgebirge" bereits feurigen Ursprungs gewesen seien, also Erstarrungsgesteine seien.
Auch James Hutton, der Hauptgegner Werners, ging von einer ständig währenden Erdrevolution aus. Den Granit schlug er einem plutonischen Urgebirge zu, hielt aber die Bildung von neuem Granit in späteren Epochen für möglich, auch in der Gegenwart. Er wandte sich grundsätzlich gegen die Vorstellung, alles Gestein sei aus dem Wasser entstanden. Hutton griff die teleologische Vorstellung an und geriet bei seiner Suche nach allgemeinen Bildungsgesetzen zwangsläufig in Opposition zur kirchlichen Dogmatik. Die neptunistischen Auffassungen konnten sich bis ins 19.Jh halten, weil man über das Erdinnere nur spekulieren konnte.

F. Goethe

Goethe setzte sich intensiv mit Geologie. Gesteinen und den Positionen des Basaltstreites auseinander. Er nahm auch selber an der Diskussion teil, 1779/80 veröffentlicht er die "Vergleichsvorschläge die Vulkanier und Neptunier über die Entstehung des Basalts zu vereinigen". Darin bezieht er nicht eindeutig Stellung, obwohl ihm das Für und Wider bekannt ist. Wichtig ist ihm, eine Vermittlungsposition einzunehmen. Der Streit und die Unvereinbarkeit der Positionen sind ihm wahrscheinlich genauso beunruhigend erschienen wie die Vorstellung der Neptunier, daß die Erde "revolutionären" Entwicklungsprozessen unterliege.
Spätestens mit seiner Berufung zum Bergwerksdirektor in Weimar 1777 beginnt seine Auseinandersetzung mit der Geologie. Seine Reisen (s.u.) vertiefen das Interesse und die Kenntnisse. Er hat Verbindung zu den wichtigsten Forschern seiner Zeit und gehört somit der wissenschaftlichen Vorhut der Zeit an. An beispielsweise Werners Position interessierte ihn besonders der Kristallisationsbegriff, also die Vorstellung, daß aus dem Urmeer sich Gesteine "herauskristallisiert" hätten. Kristalle sind unermeßliche Variationen ein und desselben Bauplans und wachsen unendlich langsam.

1786-88 kam Goethe aus verschiedenen Gründen nach Italien, unter anderem, um sich vor Ort über die geologischen Hintergründe am Vesuv und Ätna zu informieren. Hier hätte er sich mit den sichtbaren Tatsachen unvoreingenommen auseinandersetzen können. Er war also kein Theoretiker, sondern der Experte einer jungen Wissenschaft mit praktischer Felderfahrung. Trotz seines getrübten Blickes in Sachen Vulkanismus sollte seine Rolle als Naturwissenschaftler und als Geologe nicht unterschätzt werden. Schließlich ist es kein Zufall, daß nach ihm ein brauneisenhaltiges Mineral das Goethit, benannt ist. In mehreren Schriften (u.a. "Vergleichsvorschläge..." 1789/90 und "Über den Granit" 1784) neigte er eher den Neptunisten zu, besetzte aber eine Vermittlerposition, wenn diese durch unzureichende Argumente zu unterliegen drohten. Italien bestärkte ihn in seinen evolutionären naturwissenschaftlichen Überzeugungen, bestärkte sein geognostisches Weltbild. Der Vulkanismus war für Goethe d a s Sinnbild der Zerstörung. Die alles vernichtenden Naturgewalten, deren Augenzeuge er an den italienischen Vulkanen (u.a. Vesuvbesteigung) wurde, beunruhigten ihn zutiefst. Das vulkanisch-revolutionäre Modell war ihm in seiner Plötzlichkeit, Unberechenbarkeit und Unordnung zutiefst zuwider.
Der evolutionäre Schöpfungsvorgang durch das Wasser, in Phasen und Regelhaftigkeit ablaufend, kam seinem organischen Wachstumsmodell erheblich näher (vgl. Urpflanze). Ein Produkt der Übertragung von naturwissenschaftlichen Regeln in den sozialen Bereich sind die "Wahlverwandtschaften". Der Erzählfluß ist ruhig und gemächlich. Revolutionäre Umstürze fehlen ganz. Alles entwickelt sich.

Goethe war gegen revolutionäre Umstürze. Nicht aus ethischen Gründen, sondern weil ihm die explosionsartigen Umwälzungen zu unkontrollierbar und zu wenig regelhaft waren. Er übertrug diese Figur und die Favorisierung des evolutionären Modells auf gesellschaftliche Belange. So war er von Anfang an, anders als beispielsweise Schiller oder andere Geistesgrößen der Zeit gegen de Französische Revolution. Diese Ablehnung, so sehr er den "Kaiser der Franzosen", Napoleon Bonaparte, bewunderte, zieht sich leitmotivisch durch die Werke der klassischen Zeit ( vgl. "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" 1795 und "Hermann und Dorothea").
Zwei sinngemäße Zitate Goethes drücken diese Grundtendenz treffend aus:

1. "Wer wollte schon eine Rose im tiefsten Winter blühen sehen? Alles hat doch seine Zeit: Blätter, Knospen, Blüten... Nur der Thor verlangt nach diesem unzeitgemäßen Rausch."
2. "Ich bin gegen Revolutionen, denn es geht genauso viel bewährtes Altes kaputt wie gutes Neues geschaffen wird." (Quelle: vgl. Friedenthal)

Goethe war das Regellose zuwider: Der Tod, die ungegliederte Gebirgswelt, gewaltsamer Aufruhr. Er bevorzugte das evolutionäre Weltbild, das genauen und nachvollziehbaren Gesetzen unterworfen ist. Dabei kamen ihm die Neptunisten entgegen. Auch wenn er in Italien Gegenteiliges hätte sehen können, wenn er gewollt hätte.
Erst mit 81 Jahren erkannte er den thüringischen Porphyr als vulkanischen Ursprunges an, und dieses auch erst, nachdem er sich vergewissert hatte, "daß in der Nähe auch kein Hochofen sey".