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Der Döner

45. Sitzung der Humboldt-Gesellschaft am 22.10.1997 von Stefan Nehrkorn

Wie der Döner über die Deutschen kam

Döner-Kebab - Dönerkebap - Döner:
aus Küche, Geschichte, Soziologie und Literatur
(nach: Eberhard Seidel-Pielen: Aufgespießt - Wie der Döner über die Deutschen kam, Hamburg 1996)


Der Gegenstand des Vortrags heißt in direkter Übersetzung "drehender Braten" oder besser Drehbraten. Zusammengesetzt aus drehen und Braten bestellt man verkürzt also einen "Dreher". Das ist von höherer Eindeutigkeit als die Bestellung von Kebap, da es sehr viele unterschiedliche Formen von Braten gibt. Wie kam der Döner also über die Deutschen? Brachten die Hugenotten im 17. Jahrhundert die Brühwurst und die Amerikaner nach dem 2. Weltkrieg Ketchup und Curry nach Berlin, die im "Mythos Currywurst" kumulierten, ist es heute der Döner. Fleischgenuß ist ein Zeichen von Wohlstand. Auch Kebap ist früher ein Festessen gewesen. Die Erfolgsgeschichte hin zum fast-food ist eine Geschichte der kulturellen Begegnung, der Assimilation und auch der Ausgrenzung.

Die ersten schriftlichen Zeugnisse über die osmanische Küche des 16. Jahrhundert verdankt Mitteleuropa einem Kaufmann der Fugger. Er berichtet vom Grubenbraten und anderen Spielarten der Fleischzubereitung. Er zeichnet ein Bild, welches der heutigen türkischen Küche durchaus ähnelt, wenn auch noch wichtige Bestandteile wie z.B. Tomaten oder Paprika, die erst noch aus der "Neuen Welt" nach Kleinasien gelangen mußten, fehlen. Der erste Deutsche, der einen kulinarischen Eindruck des Döners mitbrachte war Helmuth von Moltke. Er war als preußischer Militärberater Mitte des letzten Jahrhunderts mit dem Aufbau der neuen türkischen Armee betraut. Er berichtet von einem Kebap-Essen im Jahre 1836 und von seiner Sehnsucht nach Kartoffeln!

Die Geschichte des Döners reicht ca. 200 Jahre zurück. Damals kamen unabhängig voneinander zwei Köche auf die Idee, Hammelfleisch an einem vertikalen Spieß zu Braten: Hamdi aus Kastamonu und lskender aus Bursa. Hier das Rezept des Kochs lskender aus Bursa:

"Das als Ganzes vom Fleischer kommende Hammelfleisch trennen wir fein säuberlich von den Knochen und entfernen mit großer Geduld die Sehnen. Das dünn geschnittene Fleisch verarbeiten wir in eine Form von Blättern, die wir mit einem Eisen weichklopfen. Das für den Döner ungeeignete Fleisch verarbeiten wir zu Hackfleisch und fügen es jeweils zwischen den am Dönerspieß aufeinanderliegenden Fleischschichten hinzu. Zum einen wird auf diese Weise der Kebap weicher, zum anderen fällt das fette Fleisch nicht unangenehm ins Auge. Der Dönerkebap wird folgendermaßen serviert: Ein spezielles Pide wird über dem Grillfeuer gut ausgebacken. Danach wird das Brot in quadratischer Form oder in der Form des Baklava rautenförmig geschnitten auf den Teller gelegt. Das in dünnen Streifen abgeschnittene gebratene Fleisch wird dann nebeneinander auf das Pide gelegt. Je nach Wunsch des Kunden kommt es pur oder mit Joghurt auf das Pide. Danach wird zerlassene Butter darübergeträufelt, und man fügt auf dem Grill gebratene Tomaten und scharfe grüne Peperoni als Garnierung hinzu."

Eberhard Seidel-Pielen, der Autor des Buchs "Aufgespießt - Wie der Döner über die Deutschen kam", gibt der Erfolgsgeschichte des Döners die nachstehende Form (S.46 ff):

"Bis Wissenschaftler den Gegenbeweis liefern, biete ich folgende Entstehungsgeschichte des Berliner und in der Folge des deutschen Dönerkebap an: Ende der sechziger Jahre registrierten Gastarbeiter bei Heimaturlauben Veränderungen des Speisezettels entlang der Route in ihre Heimatdörfer. Der an einigen Büfetts angebotene Döner, in einem halbierten länglichen Weißbrot mit etwas Salat serviert, wurde gerne angenommen. Er schonte die strapazierte Reisekasse, ließ sich sprichwörtlich im Vorbeifahren "einpfeifen" und sparte somit wichtige Minuten und Stunden beim waghalsigen Rennen "Berlin-Erzurum-Berlin". Auch die Tagträume und Gedanken während der eintönigen Fahrt entlang der E 5 und durch die weiten Ebenen Anatoliens wandelten sich. In den sechziger und frühen siebziger Jahren herrschte der Stolz über das in Deutschland Erreichte vor. Die Vorfreude auf die bewundernden Blicke der zurückgebliebenen Verwandten angesichts des erworbenen und zur Schau gestellten Wohlstands erwärmte das Herz. Sie entschädigte für die Strapazen und das Heimweh.
Bis 1974, als die Beschäftigung mit 617531 türkischen Arbeitnehmern ihren historischen Höchststand erreichte, war kaum einer der Reisenden ernsthaft daran interessiert, einen Imbiß oder einen Gemüseladen zu eröffnen. Sich zu verschulden und sich über Jahre an einen Kleinkrämerladen zu ketten, war keine erstrebenswerte Perspektive. Garantierte Tariflöhne, gesetzliche Urlaubsansprüche, Krankheits- und Altersvorsorge - was wollte man mehr? Lediglich 6000 Selbständige gab es damals bundesweit unter den rund eine Million in Deutschland lebenden Türken. Einige Gemüseläden, Reisebüros und Lokale zur gemeindenahen Versorgung der Arbeitsimigranten wurden eröffnet. Mehr nicht. Eine selbständige Erwerbstätigkeit paßte einfach nicht in die vorherrschende Lebensplanung. Und die lautete damals: Ein paar Jahre in der Fabrik arbeiten, möglichst viel Geld auf die hohe Kante legen und dann als gemachter Mann oder Frau in die Heimat zur Familie zurückkehren.
Mit der Weltwirtschaftskrise 1974/75 wurde die Hoffnung auf schnellen Wohlstand in Deutschland erschüttert. Die Arbeitslosenzahlen schnellten in die Höhe. Und die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Türken sank innerhalb eines Jahres um 65 000. Sie reduzierte sich bis 1978 weiter auf 514694. Vielen der Reisenden dämmerte: Das deutsche Wirtschaftswunder ist offensichtlich keine endlose Erfolgsstory. "Almanya, Almanya" - der alltürkische Traum zeigte unerwartete Schwächen. Die einst mit so schmeichelhaften Worten von den deutschen Betrieben Umworbenen mußten erfahren, daß ihnen als ungelernten Arbeitern im konjunkturabhängig produzierenden Gewerbe, in der Bauindustrie und im Bergbau als ersten die Kündigung ins Haus flatterte. Bereits während der Krise 1966/67 entfiel ein Drittel des Gesamtrückgangs der Beschäftigung auf die Ausländer. Während die Zahl der Deutschen nur um drei Prozent zurückging, schrumpfte die Zahl der beschäftigten Ausländer um rund 25 Prozent. Noch stärker waren Ausländer während der Weltwirtschaftskrise 1974/75 betroffen: Rund 44 Prozent des Beschäftigungsrückgangs entfielen nun auf sie. Erste Überlegungen - Was tun, wenn ich in meinem Betrieb vor die Tür gesetzt werde ? - wurden angestellt. In wie vielen Daimlern und Ford Transits in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre solche Gedanken während der Fahrt ins Heimatdorf oder in die Gecekondus, die Armensiedlungen der Großstädte, durch die Köpfe geisterten, ist nicht mehr zu ermitteln. Auf alle Fälle verunsicherten der im November 1973 verhängte Anwerbestopp und die 1975 erfolgte Kürzung der Kindergeldsätze für Kinder, die im Heimatland geblieben waren, die Menschen zusätzlich.
Wievielen Familienvätern beim Zwischenstopp am Büfett in Anatolien der rettende Gedanke "Das ist es! Ich eröffne einen Döner-Laden in Berlin !" kam, wissen wir nicht mit letzter Sicherheit. Klar ist nur, daß in dieser Zeit der Dönerkult geboren wurde. Ab 1973 ging es ganz schnell. Ein Dönerimbiß nach dem anderen eröffnete in Kreuzberg. (...) (Ein Augenzeuge): "Wir Einwanderer sind, wenn es ums ökonomische Überleben geht, erfinderisch. Und der Döner ist eine Überlebensstrategie."

Aber noch sollte es einige Jahre dauern, bis der Dönerkebap zu einem echten Berliner Hit wurde. Einerseits war der Dönerkebap vielen Deutschen schlicht unbekannt und zu exotisch. Andererseits gab es heute kaum noch nachvollziehbare logistische Probleme. (siehe S.46 ff)"

Die Produktion und Rezeptur des Döners war noch Privatsache eines jeden Imbißbetreibers. Auch die in den achtziger Jahren einsetzende industrielle Massenfertigung der Dönerkegel ließ breiten Spielraum für "Lebensmittelzusätze". Der einsetzende Preiskampf um Marktanteile ließ den Döner zu einer "Bulette am Spieß" mutierte bis am 01.07.1989 die "Festschreibung der Berliner Verkehrsauffassung für das Fleischerzeugnis Dönerkebap" in Kraft trat:

1. Bei der Herstellung von Dönerkebap wird nur Fleisch vom Kalb, Rind oder Schaf verwendet; Mischungen von Fleisch der drei vorgenannten Arten untereinander sind zulässig.
2. Das Fleisch der Nr. l hat den Anforderungen des Paragraph 6 Abs. l Hackfleisch-Verordnung (grob entsehnt, grob entfettet und max. 20 Prozent Fett) zu entsprechen. Für den Hackfleischanteil sind nur die beim Zuschnitt der Scheiben des Fleisches nach Nr. l anfallenden Abschnitte zu verwenden.
3. Das Hackfleisch ist nur zu wolfen und zu mengen; es wird nicht gekuttert. Brühwurstbrät wird nicht verwendet.
4. Der Anteil von Hackfleisch beträgt höchstes 60 Prozent.
5. Als weitere Zutaten werden verwendet: Salz, Gewürze, Eier, Zwiebel, Öl, Milch, Joghurt. Nicht verwendet werden dürfen: a) Kutterhilfsmittel (Phosphate, Citrate etc.), b) Stärke oder stärkehaltige Bindemittel
6. Aus technologischen Gründen darf höchstens fünf Prozent Eis oder Milch verwendet werden.

Nach seiner lebensmittelgesetzlichen Festschreibung und dem kulinarischen Erfolg hielt der Döner auch Einzug in die Literatur. Das Stück "Der letzte Döner" von Gaby Sikorski ist als Produktion der Theatergruppe "Kulis" am 26.10.1995 in Berlin-Kreuzberg uraufgeführt worden:

Inhalt: Döner wird 1999 aufgrund seines Suchtcharakters gesetzlich verboten. Am Alex treffen sich an ihrer Dönersucht gescheiterte Professoren, vom Entzug gezeichnete Intellektuelle und viele andere, die nicht einmal davor zurückschrecken ihren Körper zu verkaufen. Der Detektiv Kazim erhält von einer dubiosen Kundin den Auftrag, das ultimative Döner-Rezept auf dem Schwarzmarkt zu besorgen. Sie entpuppt sich als Geheimagentin im Dienst der Bundesregierung, die den lukrativen Schwarzmarkt kontrollieren und abkassieren möchte, nachdem sie einsieht, daß gegen die Dönersucht kein Kraut gewachsen ist. "Kazim: Wer war es denn, der das Suchtmittel nach Deutschland gebracht hat ? Wer hat denn ganz Deutschland mit Dönerbuden überzogen, so daß schon Kinder und Jugendliche für ein paar Mark in den Besitz einer Rauschdroge kommen konnten, die sie empfänglich machte für unsere Kultur ? Und dafür hatten wir einen kräftigen Dämpfer verdient, nicht wahr? Erst hat man versucht, uns mit Geld dazu zu bringen, in unsere Heimat zurückzukehren, dann kam das Döner-Verbot, und schließlich zur endgültigen Abschreckung die Einschränkungen und Gesetze, die dazu führten, daß in Deutschland die türkische Kultur beinahe verschwunden ist. Aber Sie und ihre Kumpane haben sich verkalkuliert." Warum ? Privatdetektiv Kazim weiß die Antwort: "Was ist eine Frau gegen einen schönen, saftigen Döner mit Spezialsoße und scharf ?"
"Döner? Wie so vieles auf der Welt: ungesund und unverzichtbar. Zurück bleiben ein Hauch von seinem Duft und leicht erhöhte Blutfettwerte." (nach: Der letzte Döner)